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Bildende Kunst

 

Die Hauptvertreter der Dashanzi-Künstler- und Performance-Szene waren Zhang Huan, Ma Liuming, Cang Xin, Rong Rong und Zhu Ming (1). Allesamt zählen sie heute zur international bekannten Kunstszene. Sie kamen aus unterschiedlichen chinesischen Provinzen und viele von ihnen, mit wenigen Ausnahmen, studierten zunächst an ihren heimatlichen Kunstakademien moderne westliche Malerei.


Die Performances der Künstler fanden anfangs ausschließlich in privaten Wohnungen statt. Ein öffentliches Publikum gab es zunächst nicht, lediglich Künstlerkollegen und Freunde kamen zu den Veranstaltungen, und die viel zu engen, stickigen Wohnungen platzten aus allen Nähten. Öffentliche Veranstaltungen waren zu dieser Zeit viel zu gefährlich, weil die Künstler mit ihrer sofortigen Verhaftung rechnen mussten. Performancekunst war aber genau deshalb bei jungen chinesischen Künstlern so beliebt, weil sie spontan und an unterschiedlichen Orten, ohne viel Aufwand vonstatten gehen und in kritischen Momenten sofort abgebrochen werden konnte. Bilder- und Skulpturenausstellungen waren im Gegensatz dazu in der Gefahr, sofort geschlossen und die Werke beschlagnahmt zu werden.

 

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1993 besuchte das Künstlerpaar Gilbert and George die Volksrepublik China. Anlässlich ihrer Ausstellung in der Nationalgalerie in Beijing suchte das italienisch-britischen Künstlerpaar jene jungen Kollegen in ihren Appartments auf und wohnten der ersten body-art Performance „Fen/Ma Liuming“ (Zornig/Ma Liuming) von Ma Liuming im East Village bei. Dieser internationale Besuch und die Wahrnehmung der Szene gaben der gesamten Künstlerschaft in Beijing großen Auftrieb. Ein Jahr später nach weiteren fünf Performances wurde Ma allerdings nach seiner sechsten und öffentlichen Performance zu drei Monaten Gefängnis wegen pornographischer Anspielungen verurteilt.


Der 1965 in Anyang, Provinz Henan, Zentralchina geborene Künstler Zhang Huan (dessen eigentlicher Geburtsname Zhang Dong-Ming lautet) war in seinen frühen malerischen Werken besonders von Rembrandt van Rijn beeinflusst. 1991 zog er aus seiner Heimatprovinz nach Beijing und fuhr mit seinem Kunststudium in der Hauptstadt fort. Beeinflusst von den bereits erwähnten Künstlerkollegen und durch die eingeschränkten Möglichkeiten der politischen Vorgaben – damals gab es noch einen Verbotskatalog, was Künstler malen durften und welche Themen tabu waren – war Performance auch das von ihm favorisierte Medium.


Zhang Huan fiel Mitte der 1990er-Jahre auf und macht seither durch kulturell hybride und sehr unterschiedliche Werke immer wieder auf sich aufmerksam. Den meisten ist er als Performance- und Aktionskünstler bekannt. Heute zeigen große Museen und Sammlungen seine Fotos, die gleichzeitig Werk und Dokumentation sind, sowie seine neusten Installtionen und skulpturalen Werke.

 
Zhang Huan beginnt 1993 mit seinen Performances. Seine Arbeiten weisen selbstkasteiische Züge auf, etwa wenn er seinen nackten Körper in der Performance „12 m²“ 1994 mit Honig und Fischöl einreibt und sich auf eine öffentlichen Toilette im East-Village – schließlich von Insekten übersät – 45 Minuten sitzend ausharrt und zum Abschluss in einen nahe gelegenen, völlig verschmutzten und stinkenden Kanal springt.


Auch seine nächste Performance im Juni 1994 mit dem Titel „65 kg“ – dem damaligen eigenen Körpergewicht – ist selbstzerstörerisch. Zwei Meter über einer Herdplatte hängt Huan an Ketten. Schläuche und Kanülen, die in beiden Armen stecken, lassen innen sein Blut und außen seinen Schweiß in eine Pfanne auf die heiße Herdplatte tropfen. Schnell riecht es im ganzen Raum nach den verdampften Flüssigkeiten. Huan betont, dass es bei seinen frühen Performances um das Sichtbarmachen von Unterdrückungsmechanismen gehe und das Leiden schockierend sichtbar für die Besucher sein müsse.


International berühmt wird das 1995 von Lü Nan aufgenommene Performancefoto „To Add one Meter to an Anonymous Mountain“, auf dem 10 Künstler aus dem „Beijing-East-Village“ zu sehen sind: Wang Shihua, Cang Xin, Gao Yang, Zuo Xiao, Zu Zhou, Ma Zongyin, Zhang Huan, Ma Liuming, Zhang Binbin und Zhu Ming. Zunächst wurden alle gewogen. Diejenigen mit dem größten Körpergewicht legten sich zuerst hin und über sie türmten sich schließlich die leichteren Künstler: Zu unterst lagen drei Personen, dann in den nächsten drei Lagen jeweils zwei, und ganz oben eine einzelne Person. Die nackten Körper stapelten sich und der namenlose Berg wuchs somit um einen Meter. Die ganze Aktion dauerte 20 Minuten. Dieses Foto diente lange als Synonym und Signet für die Performancekünstler jener Zeit.


Seit 1995 performen Zhang Huan und Ma Liuming zuweilen zusammen. Für beide ist der eigene nackte Körper Sprache und Material zugleich; der Geist steht ihm gegenüber, verbunden durch die reziproke Abhängigkeit von Grenzerfahrungen, Transgressionen und Verletzbarkeiten. Beide Künstler reflektieren und kommunizieren ihre inneren privaten Gefühle, Sorgen und Ängste mit dem Publikum. Beide zeigen darüber hinaus auch ihre knallharte Lebenswirklichkeit. Huan beschreibt in einem Interview, dass die Schmerzen und Qualen während der Performances ihm das Gefühl geben, zwei Körper zu haben, einen, aus dem er, während er die Schmerzen erleidet, schlüpfen kann, verstanden als spirituell fließendes Ich, und den anderen Körper, verstanden als die reine körperliche Materie, die Schmerzen ertragend (2). Damit lädt Huan die Werke mit physischen und symbolischen Assoziationen auf und oszilliert zwischem persönlichen und politischen Anliegen.


Bis heute bezieht sich Huan in seinen Werken außerdem immer wieder auf einen Chan Buddhismusmeister der Tang Dynastie, spirituell sowie inhaltlich. Interessanterweise werden die Performances in China teilweise anders reflektiert als im Westen. Übereinstimmend ist die Tatsache der opponierenden Haltung gegenüber den gängigen Kunstauffassungen und kulturpolitischen Vorgaben. Im Westen jedoch wird sein Werk als exotisch klassifiziert und unterliegt einer Neuinterpretation und Dekontextualisierung (3). In China richtet sich die Rezeption auf eine tradionelle, tief verwurzelte, inhärent-spirituelle und selbstasketische Aussage: Es gilt das Leid zu überwinden und gestärkt aus den Situationen hervorzugehen.


Zhang Huan sieht sich nicht als egozentrischer Mittelpunkt seiner Arbeit, sondern lädt auch andere Teilnehmer zum Performen ein. 1997 entsteht „To Raise the Water Level in a Fish Pond“. Zhang bittet einige anonyme Wanderarbeiter, die zu Millionen täglich in die großen Metropolen kommen, sich mit ihm gemeinsam in einen Fischteich zu stellen, um die Höhe des Wasserspiegels anzuheben. Die Arbeit symbolisiert gesellschaftliche und soziale Konflikte: Das Überlaufen, das Wachsen, die rasante Urbanisierung Chinas. Die Wanderarbeiter und Tagelöhner verkörpern dabei die Unterpriviligierten und Außenseiter der chinesischen Gesellschaft, die über gar kein Mitspracherecht verfügen. Ohne Rechte und überwiegend illegal in den Megacities sind sie eine vermeintlich bedeutungslose Randgruppe.


1998 zieht Zhang Huan in die USA. New York wird sein neues Zuhause und Arbeitsumfeld. Als eine der ersten Arbeiten produziert Huan die aus drei Fotografien bestehenden Serie „1/2“ (1998). Das Tryptichon zeigt Huan mit entblößtem Oberkörper, bemalt mit chinesischen Schriftzeichen. Wie ein kalligraphisches Kunstwerk ist seine Haut mit Tuschezeichen in verschiedenen Größen bedeckt. Das zweite Foto zeigt ihn in der gleichen bemalten Situation, nur hat er nun, einem Kleidungstück gleich, ein mit Fleischresten besetztes Tiergerippe umgehängt. Auf dem letzten Foto fehlen die Schriftzeichen, der Körper ist gereinigt und die Tierrippen dienen als eine Art Schutzpanzer für Brust und Bauch des Künstlers. Es ist die Umkehrung von Innen und Außen, nicht die Haut schützt den Körper, sondern das Gerippe. Zhang Huan sagt in einem Interview (4), dass das Werk wie ein persönlicher Stempel für ihn sei und er versucht habe, eine ganz einfache klare Fotoarbeit zu kreieren: Der Text ist ein Symbol für den Geist, das Gerippe ein Symbol für den Körper. Das Dualitätsprinzip stellt Körper und Geist einander als unabhängige Entitäten gegenüber.


Der Serie „1/2“ folgt die Performance und das 15-teilige und in einer 15er Auflage geprintete Werk „Foam“ (Schaum). Huans Gesicht ist in dieser Fotoserie jeweils isoliert zu sehen. Er ist mit weißem Waschschaum und Seifenblasen im Gesicht abgelichtet, mal mit geöffneten, mal mit geschlossenen Augen. In seiner Mundöffnung ist jeweils ein unterschiedliches, kleines Schwarz-Weiß- oder Farbfoto erkennbar, auf dem Einzelpersonen oder Gruppen zu sehen sind. Bei den Fotos handelt es sich um Schnappschüsse von Familienmitgliedern von Huans Frau. Der Gestus des Künstlers ist so intendiert, als ob er die Fotos gleich ausspeien wollte oder sich anstrengt, durch sie hindurch zu sprechen.
Vergleichbar mit der später entstandenen Arbeit „Family Tree“ (2000) geht es Zhang Huan um Fragen der Identität, Zugehörigkeit, Herkunft und des kulturellen Vermächtnisses. Mit der Mimik, dem Gestus und dem reinigenden Schaum ist eine (Wieder-) Geburt symbolisch intendiert (5). Mit den Familienfotos die Tatsache, dass seine Ahnen und die seiner Frau aus ihm quasi heraussprechen und im Hier und Jetzt sowie auch zukünftig im Leben der Nachkommen existieren und wirken werden. Eine ganzheitliche und asiatische Sicht auf Existenz per se.


Auch wenn dies rein fernöstlich und buddhistisch anmutet, so gibt es in den Werken auch immer eine Brücke zur nordeuropäischen und amerikanischen Kunst. Folgerichtig dient dieser Brückenschlag der Sammlung Cserni als ein Argument, um das Werk Zhang Huans aufzunehmen und die Verbindung zu den Wiener Aktionisten sichtbar zu machen. Letztgenannte bilden einen Schwerpunkt der Sammlung.


Michel Nuridsany rückt in seinem Aufsatz „Generation Video“ (6), der anlässlich einer Ausstellung im Centre Pompidou in Paris 2003 erschien, Huan und Ma in die Nähe des künstlerischen Geistes von Joseph Beuys und insbesondere dessen Performance, die er in New York 1974 mit einem Kojoten durchführte (,,Coyote; I like America and America likes me“). Nuridsany betont in der Unterscheidung zu Beuys lediglich eben jene „buddhistische Inspiration“, die den chinesischen Künstlern eigen wären. Kulturelle Hybridität ist für den Autor der zentrale Begriff, denn er bemüht bei allen chinesischen Performancekünstlern, die auch mit Fotografie und Video arbeiten, europäische und nordamerikanische Vorbilder, neben Beuys auch die Künstler Marina Abramovic, Chris Burden, Vito Acconci und vor allem die Wiener Aktionisten.


Der niederländische Kunsthistoriker Thomas Berghuis, der an der Universität von Sydney lehrt und ein Spezialist für Performancekunst in China ist, hat sich mit den Phänomenen der Hybridität in seiner Doktorarbeit auseinandergesetzt. Zunächst stellt er fest, dass Aktionskunst in China nie für sich alleine steht, sondern grundsätzlich andere technische Medien involviert: Video, Installationen, Fotografie, Film oder auch Tanztheater. Die bewegliche Grenze in den Beziehungen zwischen Künstler, Performance und Publikum ist nach seiner Auffassung mit der visuellen Erfassung aller weiterer Medien verwandt. Die Tatsache, dass bei den zuvor erwähnten chinesischen Künstlern Performance überwiegend nur mit dem eigenen Körper durchgespielt wird, bedarf der Umwandlung in eine andere, allgemeingültige Form. Die Kontinuität der visuellen Strukturen unterstützt dabei die Direktheit und Transzendenz der Künstlerpersönlichkeit.


Berghuis findet in den Performances aber auch konkrete Hinweise auf weitere historische Einflüsse aus Europa. So bemüht er die 1988 an der University of Chicago von Svetlana Alpers (7) erschienene Studie „Rembrandts Unternehmen: die Malschule und der Markt“ und vergleicht die aufgeführten Zusammenhänge von künstlerischer Produktion und Praxis bei Rembrandt van Rijn mit den Inhalten chinesischer Performancekunst. Alpers untersucht im Abschnitt „Das theatralische Modell“ Rembrandts Interesse für Aufführung und tägliches Rollenspiel oder modern ausgedrückt: für Performance, anhand der Bilder „Die Anatomiestunde des Dr. Tulp“ und „Die Anatomiestunde des Dr. Jan Deyman“. Rembrandt, so die Autorin, lernte vom Modell. Der Künstler spielte wie ein Darsteller selber Situationen durch, um die Quintessenz dieser Rolle auf das Bild zu bannen. Häufig nutzte Rembrandt seinen eigenen Körper für seine Studien, und das ist ein Ausdruck seines Dranges, das Leben so realistisch wie möglich darzustellen. Man weiß, das Rembrandt zunächst keiner Anatomiestunde beigewohnt hat, man weiß aber auch, dass es zu jener Zeit üblich war, Körper von verstorbenen Gefängnisinsassen zu obduzieren und deren entnommene Organe halböffentlich zu untersuchen. Auch hier ist die Verwandtschaft zu den Wiener Aktionskünstlern und den 60er-Jahren evident: Schwarzkogler, Rainer, Nitsch und Mühl lassen grüßen.


2005 fand vor seiner Rückkehr und dem Umzug nach China die letzte Performancearbeit Huans statt. Seither arbeitet er überwiegend an großen Installationen, an Skulpturen, Zeichnungen und Malerei. Sein neues Material ist die Asche von Räucherstäbchen. Aus ihr lässt er riesige Buddhaköpfe und Figuren pressen oder verschmilzt sie als nuanciert-grauen Farbauftrag auf Leinwände. Durch die Materialwahl bleibt er der buddhistisch spirituellen Welt treu, denn er bezieht die Asche aus vielen buddhistischen Tempeln Chinas. Gut 40 Maler, Handwerker und Angestellte arbeiten mittlerweile in seinem Atelier, in den großen Hallen einer ehemaligen Fabrik. Zhang Huan lebt und arbeitet in Shanghai und pendelt seit 1998 immer wieder nach New York City.


Seine Werke sind weltweit in öffentlichen und privaten Sammlungen zu finden, u.a. im Museum of Modern Art, New York, im Centre Pompidou in Paris, im Shanghai Art Museum, im Kunstmuseum Luzern, in der The Charles Saatchi Collection in London und in der Sammlung Cserni in Wien.


Zhang Huan – "body next to body"

Bis zum 23. Juni können zwei Werke von Zhang Huan in der Ausstellung

 

im Kunstforum Markert, Droopweg 31 in Hamburg-Hamm

besichtig werden.

Weitere Informationen: www.kunstforum-markert.de

 

Fußnoten:

(1) Vgl. ZHIJIAN, Qian: „Performing bodies: Zhang Huan, Ma Liuming, and performing art in China”. (Interview). In: Art Journal, Beijing, 1999.
(2) Interview: „Talking is the Road“. In: Xu Xiaoyu, Henan, 1999, S. 289-308.
(3) Vgl. DZIEWIOR, Yilmaz: „Seeds of Hamburg“, Hatje Cantz Verlag, 2002, S. 10.
(4) Vgl. LASTER; Paul: „Altered States – Zhang Huan“, in: Kulturmagazin Art Krush - Flavorpill, New York, November 2007.
(5) Vgl. COLLINS, Thom: „Zhang Huan“, in blog: https://nihilsentimentalgia09.wordpress.com, 2009.
(6) Vgl. NURIDSANY, Michel: “Generation Video” in: “Alors, la Chine?”, Centre Georges Pompidou, Paris, 2003. S. 48-54.
(7) ALPERS, Svetlana: “Rembrandt’s Enterprise – The Studio and the Market“, Chicago, 1988.


Galerie – Abbildungsnachweis: Alle Werke © Zhang Huan
01. 12 Square Meters, 1994
02. To Raise the Water Level in a Fishpond (Zhang Huan in Bildmitte mit Kind auf seinen Schultern), 1997
03. 1/2 One Two 1, 1998
04. 1/2 One Two 2 (Text), 1998
05. Foam 1
06. Foam 4
07. Foam 15, 1999
08. Ash Buddha (195x160x130cm), 2003
09. West Wind No.9 (100x150cm), 2008
10. East Wind No.5 (91,5x122cm), 2009


Für die Überlassung der Fotos bedanken wir uns bei Zhang Huan Studio Shanghai.

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