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Bildende Kunst

Ihre Streifzüge erlebt Eva Roth meist zu Fuß, sie durchquert die unterschiedlichen Städte, die ihr wie in diesem Fall alle einmal eine Heimat waren oder sind: Hamburg als Studienort, Palermo als regelmäßiger Aufenthaltsort, London als Wohnsitz. Aber welche Beziehung baut die Künstlerin zu diesen Orten eigentlich heute auf? Und unterscheidet sie etwas von jenen Städten, die nur kurz einmal besucht werden?
Die Künstlerin verbindet ihre fotografierten, gemalten oder gezeichneten und überarbeiteten städtischen Sichtachsen, Details und Architekturfragmente mit persönlichen Erinnerungen, Erfahrungen und ihrer eigenen Identität und definiert damit ihre räumliche Befindlichkeit und Dynamik. Denn ihrer Auffassung nach sind Räume per se mit Gefühlen und individuellen Empfindungen verknüpft. Das Empfinden unterscheidet die heimatlichen Orte von jenen, die nur kurz besucht werden. Es werden zu ihnen andere verbindlichere Gefühlsbeziehungen aufgebaut. So deklinieren die Werke aus den drei unterschiedlichen Städten Hamburg, Palermo und London also nicht nur einen architektonischen, sondern grundsätzlich auch einen emotionalen Raum in unterschiedlichen Zeit- und Bewegungsphasen. So entstehen Kulturräume, die auf visuell farbigen- oder schwarz-weiß-reduzierten-, aber auch auf psychischen Reizen und Aneignungen beruhen. Die einzelnen Städte und deren Realität sollen quasi überlistet werden, ihre äußere Erscheinung wird überdeckt mit individuellem Gefühl. Der Ortswechsel, den die Künstlerin permanent vollführt ist immer auch geistiger und emotionaler Wechsel. Dieser wird zur Motivation und das Reisen selbst zur Inspiration.

So unterschiedlich also die Städte architektonisch und kulturell sind, so unterschiedlich nähert sich die Künstlerin auch diesen an, nimmt sie individuell wahr und vermittelt diese. Die barocke Formensprache Siziliens, die Farbigkeit und das Licht sind eindeutig von den klaren Strukturen und der blau-anthraziten Farbigkeit des Nordens zu unterscheiden. Im Gegenteil zum Überangebot täglicher visueller Formen und lebendiger Eindrücke konzentriert sie sich auf wesentliche Elemente und Fragmente, setzt ihre augenscheinlichen Impulse zielgenau und pointiert.

Gemeinsam allen Werken ist die Übersetzung ihres tatsächlich stattgefundenen dynamischen Moments der Bewegung im Raum auf die Träger: Papier, Leinwand, Foto oder Folie. Der malerische Gestus zeugt häufig davon, er gebärdet sich temperamentvoll flüssig bis wild. Das gilt gerade auch für die Darstellungen von Details von Fassaden, Brunnenfiguren oder Skulpturen. Sie wirken als Bindeglied zwischen Werken, die die reine architektonische Form und den Stadtraum als solchen fokussieren und jenen, die organischer und kommunikativer Natur und von Menschen, Tauben oder Kraftfahrzeugen bevölkert sind und sich permanent visuell verändern. Die Orte werden dadurch nicht verklärt oder behandelt wie romantische Landschaften, sondern behalten vielmehr ihren selbstverständlichen „metropolhaften“ Zusammenhang und Charakter. Das gilt auch für die Bilder, die Szenen eines sizilianischen Strands oder der Küste zeigen, die also an der Bruchstelle zum Urbanen angesiedelt sind.

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Dass die durchreisende Künstlerin den Raum als Momentaufnahme begreift, wird aber nicht nur malerisch, künstlerisch deutlich, sondern lässt sich auch als Metapher lesen – für eine unaufhörliche Reise durch das Leben. Auf der Suche nach einem Ort in dem man sich verankern kann, der Veränderungen und Entwicklungen akzeptiert. Weder Künstlerin noch Betrachter sollen sich als Gast, Fremde, Reisende oder Außenseiter fühlen! Sehr bewusst lässt Eva Roth auch Platz für freie individuelle Assoziationen und Empfindungen, das sind jene Kontexte, die der Betrachter mitbringt, erinnert und somit hinzufügen und einbringen kann. Das kreiert eine Art Sehnsucht mit einem leichten Hauch von Weltschmerz, oder sollte es besser „Kulturschmerz“ heißen?

Eva Roth arbeitet auch dreidimensional. Ihre Objekte – häufig handelt es sich um Käfige, um Vogelbauer für kleine Singvögel – beinhalten Einzelobjekte, Karten, Fotos und Gegenstände. Sie funktionieren in der Gegenüberstellung, im Dialog und muten hyperreal an. Dabei ist das zeitlich entrückte Déjà-Vu-Erlebnis durchaus gewollt, sowohl im künstlerisch-formalen wie im inhaltlichen Ausdruck. Eva Roth bezeichnet ihre Eingriffe als simple Zusammenstellung und Hinzufügungen und vergleicht diese mit den Schichtungen ihrer anderen Bildwerke. Die ursprüngliche Aussage des Einzelelements wird dadurch jedes Mal kommentiert, hinterfragt oder ganz neu entworfen.

Eine weitere Werkgruppe bilden sogenannte Ikonen, die auf etwas anderes, höheres verweisen sollen. Neben Denkmalen und Heiligenfiguren sind dies oft Zeichen des modernen Alltags: Flugzeuge, Busse, Autos und Alltagsgegenstände. Ihrer Bedeutung hat Eva Roth etwas Spirituelles hinzugefügt, manchmal nur einen Schleier oder ein Gegenüber, das sich deutlich unterscheidet und sogar fremd wirkt. Insbesondere dieser Komplex ist als Gruppe anzusehen und verstärkt erst in der Serie die umfangreiche Bedeutungstiefe.
Flugzeuge tauchen immer wieder als Symbol für Reise auf, als „Transformatoren“ zwischen den unterschiedlichen Städten. Sie bilden die gedanklichen Anschlüsse und Verbindungen zwischen Hamburg, Palermo und London.


Fotonachweis:
Header: Alle Abb. von Eva Roth. Detail aus "Monreale", 2005, Tempera auf Fotografie, 10x15 cm
Galerie:
01. „Hamburg 85“, 1986, Collage, Mischtechnik, 10x15 cm
02. „space 1“ (Hamburg), 2011, Aquarell und Tempera auf Fotografie, 16x18 cm
03. „Ballaro 11“ (Palermo), 2011, Wachskreide und Tempera, 27x17cm
04. „Palermo 101“, 2011, Aquarell auf Fotografie, 20x30 cm
05. „street 28“ (Palermo), 2012, Bleistift und Acryl, 20x30 cm
06. „Passage“ (London), 1987, Wachskreide, Tempera und Fotografie auf Papier, 20x30 cm
07. „London56“, 2012, Mischtechnik, 20x30cm
08. „Euston Road 7“, 2012, Mischtechnik / Collage, 13x15 cm
09. „Westminster 27“, 2012, Acryl auf Fotografie, 16x27 cm
10. „escape 1“, 2009, Objekt, 23x15x17 cm
11. „layers 64“, 2011, Aquarell / Collage, 13x19 cm
12. Plakat der Ausstellung
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