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Bildende Kunst

In den 1980er-Jahren malte André Attias jahrelang über hundert Bilder einer klassischen, italienischen Bialetti-Kaffeemaschine.
Ausgangspunkt der Serie war für den Maler weniger die Maschine selbst, als vielmehr das Immaterielle, der Dampf, der sich aus der Ausgussöffnung im Raum verflüchtigte. Er begann zu zeichnen und zu malen und obwohl es sich immer um die identisch gleiche Kaffeemaschine handelt, ist keines der Bilder wie das andere. Lediglich die Tatsache, dass es sich bei allen Werken dieser Serie um Hochformate handelt, kann als Regelwerk angesehen werden.

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In der gehängten Reihung der Ausstellung entsteht für den Betrachter ein Sinnbild des täglichen Lebens, das sich jeden Tag neu konstituiert. Auch wenn sich die Maschinen an bestimmten Merkmalen ähneln, entstehen immer wieder neu definierte Sichtweisen und unterschiedliche Aggregatszustände der Materie, des Gegenstands und unserer Anschauung. Übertragen auf das Leben und das Alltägliche heißt dies: Kein Tag ist wie der andere, alles erscheint in einem anderen Licht, Ausdruck und einer anderen Stimmung und Farbigkeit. Die vermeintliche Kaffeemaschine wird perspektivisch und formal verschoben und in seinen Sichtachsen immer wieder neu zerlegt und hinterfragt. Das geht soweit, dass regelrecht Metamorphosen entstehen und sich die Kaffeemaschine in andere Gegenstände und Wesen verwandeln kann: in eine Gießkanne oder einen Schlot, in einen Vogel oder einen Phoenix beispielsweise.

Die Freude an Maschinen und Technik zeigt sich in verschiedener Weise. In einer Serie beschäftigt sich der Künstler mit Motorrädern, in einer anderen mit Nähmaschinen in wieder einer anderen mit alten Landmaschinen. Auch davon sind zwei Werke in die Ausstellung präsentiert.
Wie schon bei den Kaffeemaschinen gibt es eine konkrete Inspirationsquelle, den Botanischen Garten in Hamburg. Dort befinden sich auf verschiedenen Freiflächen historische Landmaschinen: Pflüge, Gabelheuwender, Mähbinder und Kartoffelroder. Letztgenannter ist nicht als abgemalte, realistische Maschine zu sehen, sondern als abstrahiertes farbiges Etwas. André Attias beweist spätestens hier seine augenzwinkernde Haltung zu den Dingen. Wer genau auf die beiden großen Bilder schaut, sieht seine humorvolle Phantasie, die fliegenden Kartoffeln, die unglaubliche Dynamik, die verschiedenen Jahreszeiten der beiden Bilder, das fahle Gelb und kühle Blau des späten Winters und die erdigen rötlich-braunen Farbtöne des Herbstes.

In wieder einer anderen Serie widmet er sich mechanischen „Reibemaschinen“. Wir alle kennen die Situation in Fußgängerzonen, Passagen, Einkaufszentren oder im Werbefernsehen: Da steht ein Händler, ein Präsenter und verkauft mit vielen gestenreichen Worten, Vorführungen und Handgriffen seine Allzweckmaschine. André Attias ziehen diese Vorstellungen an, er stellt sich zu der Gruppe der Zuschauenden und hört gebannt von den verschiedenen Einsatzmöglichkeiten der Vielzweckapparatur, die raspelt, schneidet oder den Obstsaft ausdrückt. Er ist fasziniert von den Einzelteilen und der Struktur dieser Apparaturen.
Aus den Bildern der Vorführung kreiert der Maler dann seine eigenen Maschinen, zeigt auch in dieser Serie die Dynamik, die Kraft und die subtil verspielte humorvolle Seite der Materie, weil er immer auch das nicht ganz definierbar Lustige und gleichzeitig Gefährliche des Instrumentariums berücksichtigt. Bei seinen Maschinen können durchaus auch mal die Fetzen fliegen. Und genau hier liegt einer der wesentlichen Reize dieser Werke: die Vermittlung der Gleichzeitigkeit von verschiedenen Gefühlsstimmungen. Der Grobheit, die durch den malerischen Stil und Duktus veranschaulich wird, steht eine gleichzeitig gedachte funktionale Präzision und Detailfaszination sowie eine eigene Farbigkeit gegenüber, mit der der Künstler seine Atmosphäre schafft. Die Reibemaschinen haben dann auch der erwähnten Farbigkeit entsprechende Untertitel: Reibemaschine Süßkartoffel, Reibemaschine Möhre und Reibemaschine Granny Smith.

Die Arbeiten, die in Barmstedt zu sehen sind, zeigen lediglich einen Ausschnitt des Gesamtwerkes des Künstlers – jedoch einen durchaus wichtigen. Und auch innerhalb der Kunst sind Themen der Banalität und der banalen Gegenstände immer wieder Grundlage künstlerischen Schaffens einerseits gewesen und andererseits haben die Banalitäten immer wieder zu heftigen Diskussionen geführt.
Geht man von folgender Definition des Begriffs aus, dann kann man unter Banalität einen Sachverhalt oder einen Vorgang verstehen, der von einem bestimmten Teil der Menschen mit einem bestimmten Bildungsgrad als allgemein bekannt eingestuft und nicht als wert angesehen wird, sich einer vertieften Betrachtung zu stellen. Banalität ist die Alltäglichkeit, die Selbstverständlichkeit. Oberflächlich und als erster, spontaner Impuls gesehen, trifft das für die Auswahl der Attias’schen Gegenstände durchaus zu.

Vor gut 150 Jahren wäre eine solche Auswahl an inhaltlich-thematischen Fokussierungen und Gegenständen wie Kaffeemaschine, Landmaschine, eine Reibeapparatur „kunstunwürdig“ gewesen. Der französische Maler Gustave Courbet musste sich für seine Teilnahme beim Pariser Salon 1853 vehement dagegen wehren, dass eine Jury seine Bilder mit der Begründung ablehnte, seine Werke seinen zu grob und würden niedere Arbeit zeigen.
Dabei hatte Courbet nichts anderes gemacht als viele seiner Zeitgenossen wie Millet, Daumier, Caillebotte und Bonnehommé es auch schon taten: Sie malten Landarbeiter, Parketthobler, Steinklopfer und Hufschmiede. Dies war für den damaligen akademischen Zeitgeschmack zu banal. Courbet organisierte übrigens eine Gegenausstellung, den Pavillon du Réalisme und zeigte dort alle viezehn Bilder, die er für den Salon eingereicht hatte.
Bis heute gibt es zwei Strömungen in der künstlerischen Auseinandersetzung „Aufruhr gegen die Banalität“ und „Keine Angst vor der Banalität“. Dabei ist der banale Gegenstand schon seit Jahrtausenden integraler Bestandteil der künstlerischen Auseinandersetzung. Das gilt für die Höhlenmalerei, wie für die Kunst im Alten Ägypten wie für die abendländische Antike und das Mittelalter und so fort.

Bei André Attias jedoch geht es nur im Ausgangspunkt um einen banalen Gegenstand. Was er nämlich eigentlich macht, ist: Er öffnet ein Untersuchungsfeld, er nimmt den Gegenstand aus seinem banalen Kontext heraus und positioniert ihn metaphorisch und zuweilen symbolhaft in einen anderen Zusammenhang. Der Gegenstand Kaffeemaschine an sich verändert sich kaum während eines Zeitraums von 7 Jahren – solange hat Attias an der Serie gearbeitet. Der Künstler verändert ihn durch seine malerischen und zeichnerischen Variationen und verändert dadurch unsere Wahrnehmung. Das schafft er zusätzlich dadurch, dass er jedem einzelnen Bild einen Namen gibt, sie also im Titel personifiziert: Jean Phillip, Silke, Johanan oder Karl Heinz.

Die tägliche Dynamik zeigt sich in der Ausstellung zum einen in den Werken selbst, in der expressiven, energetischen Malerei, sie findet sich aber auch in der Dynamik des eigenen Sehens und Erkennens für den Besucher.


André Attias: „Die tägliche Dynamik“
Zu sehen vom 11. März bis 22. April 2012 in der Galerie Atelier III, Schlossinsel Rantzau in 25355 Barmstadt.
Geöffnet: Di bis Do 14-18h; Sa und So 12-18h.
www.galerie-atelier-barmstedt.de

Bildnachweis:
Header: Einladungsmotiv zur Ausstellung André Attias; „Die tägliche Dynamik“
Galerie:
01. Amos, 1984, Öl auf Papier, 31 x 26 cm
02. Karl Heinz, 1982, Leimfarbe auf Leinwand, 70 x 50 cm
03. Johanan, 1983, Leimfarbe auf Leinwand, 85 x 74 cm
04. Silke, 1985, Leimfarbe auf Karton, 35 x 31 cm
05. Kartoffelernte I, 2006, Leimfarbe auf Leinwand, 185 x 150 cm
06. Kartoffelernte I, 2006, Leimfarbe auf Leinwand, 185 x 150 cm
07. Reibemaschinen 1-9, Leimfarbe auf Karton, je 35 x 31 cm

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