„Woodstock in Timbuktu – die Kunst des Widerstands”
- Geschrieben von Claus Friede -
Trotha verbringt gut sechs Monate im Jahr in der Sahara und das schon seit über einem Jahrzehnt. Ihre Nähe und ihr Wissen um die Kultur, Ihre präzisen, respektvollen und guten Fragen an die Protagonisten des Festivals, haben ein Dokument geschaffen, das mehr als sehenswert ist: es ist Genuss und ein Abbild menschlicher Würde und Verständigung.
Neben den beindruckenden Bildern stellt die Regisseurin jene Fragen, die nicht nur die speziellen Lebensumstände der Wüstenvölker der Kel Tamaschek betreffen, sie stellt die Fragen auch immer an die Zuschauer, und die verfehlen ihre Wirkung nicht. Diese Fragen sind nämlich ebenso übertragbar auf unseren historischen und heutigen Umgang mit kulturellen Minderheiten per se.
Widerstand ist einer der zentralen Begriffe, den sich die Kel Tamaschek auf ihre Fahnen geschrieben haben und dieser ist weit gefächert. Widerstand begann bereits in der Kolonialzeit, als die europäischen Mächte sich Land und Leute unterwarfen, Grenzen mit dem Lineal zogen, die Wüste zerschnitten und heute in Form von internationalen Großkonzernen Bodenschätze schürfen und das Land seiner Rohstoffe entledigt. Die Arabisierungswellen im afrikanischen Norden haben den Nomaden ebenso zugesetzt, wie die bis heute weit verbreitete Missdeutung, der Name „Tuareg“ stamme vom arabischen „Tawariq“ und bedeute „von Gott Verstoßene“. Damit und durch ihr nomadisches Leben wurden sie im muslimischen Norden Afrikas zu Außenseitern gestempelt. Die liberale islamische Auffassung der Kel Tamaschek steht im Widerspruch zu den strengen muslimischen Dogmen. Das zeigt sich allein im respektvollen Umgang mit den Frauen der Stämme, denen eine würdige – wenn auch nicht wirklich gleichberechtigte Rolle zukommt. Auch hier gilt für uns das Kehren vor unserer eigenen Haustür.
Der Begriff Tuareg stammt übrigens aus der Berbersprache, leitet sich von „Targa" ab und bedeutet im weitesten Sinn so viel wie „Rinne", „Kanal" oder „Garten“ und lokalisiert sich ursprünglich im südlichen Libyen.
Die nomadischen Stämme kämpfen immer noch um ihre Freiheit, für den Fortbestand ihrer Kultur, aber auch um internationale Anerkennung und Hilfe. Das Festival au Désert und die internationale Aufmerksamkeit helfen dabei.
Einige der Musiker haben die Kalaschnikow mit der Gitarre eingetauscht. Nun ist die Verbitterung nicht aus Gewehrläufen, sondern in den Texten und Worten zu hören, während sich ihr Stolz und ihre Würde in der unbeugsamen Haltung zeigen. Das Festival bietet während dreier Tage neben musikalischen Genüssen auch Kamelrennen, Völkerverständigung und kulturelle Öffnung. Für die Menschen der Region bedeutet das Festival aber zudem fertig zu werden mit der Angst vor der Angst, denn hinter den Dünen herrscht im nächsten Moment vielleicht schon wieder Krieg.
Die Doku zeigt die Festivalvorbereitungen, Interviews, Workshops und Konzertausschnitte. Im Begleittext zum Film heißt es: „Auch international bekannte Musiker der Kel Tamaschek begegnen den Herausforderungen. Im Film kommen drei sehr unterschiedliche Bands zu Wort und Lied.
AMANAR wehrt sich in seinen Texten gegen eine zunehmende Diskriminierung, die das Volk der Kel Tamaschek erfahren muss. Seit dem Ende der französischen Kolonialzeit auf Sahara-Länder verteilt und durch Staatsgrenzen auseinandergerissen, werden die Nomaden immer mehr zu Außenseitern. An den Rand der Gesellschaft gedrängt, sind ihre Kultur und traditionelle Lebensweise dem Untergang geweiht; wenn nicht gemeinsam dagegen angegangen wird und Unterstützung von außen kommt.
TARTIT ist eine Frauenband. Nachdem ihre Mitglieder in der 1990er Rebellion der Kel Tamaschek aus ihrer Heimat fliehen mussten, begannen die Frauen in einem Flüchtlingslager in Burkina Faso, einem südlichen Nachbarland Malis, gegen die lähmende Trostlosigkeit des Exils zu musizieren. In ihren Liedern geht es um Sehnsucht und Liebe. Und sie erheben ihre Stimmen gegen Wassermangel, staatliche Ungerechtigkeiten und Krieg in ihrer Wüstenheimat. Bei den Kel Tamaschek leben Frauen und Männer traditionell gleichberechtigt. Auch ein Fakt, der zu Spannungen mit benachbarten afrikanischen Kulturen führt.
BOMBINO macht weltweit Karriere. Ihr Sänger Oumara wird in den USA als Jimi Hendrix der Sahara vermarktet. Seine poetischen Liedtexte zeichnen ein Bild der blutigen Rebellionen vergangener Jahrzehnte, verbunden mit dem tief empfundenen Stolz des ehrenvollen Kämpfers. Im Zentrum steht der Fortbestand der bedrohten Kultur und der eigenen Sprache. Auch warnen Bandmitglieder vor den Folgen des weltweit zunehmenden Wettlaufs nach Rohstoffen und vor der unkontrollierten Ausbeutung der Sahara durch multinationale Konzerne, die den Lebensraum der Nomaden und damit die Unversehrtheit der Wüste zerstören.“
„Die Kultur hat keine Beine“, sagt ein Sprichwort der Kel Tamaschek. Die Kultur hat aber durch den Film nun viele Gesichter.
Der Dokumentarfilm „Woodstock in Timbuktu – die Kunst des Widerstands” der Regisseurin Désirée von Trotha entstand im Jahr 2012 in Koproduktion mit dem WDR, Redaktion Jutta Krug. Eine Produktion der Münchner CindigoFilm GmbH
Dauer: 92 Min.
Zu sehen u.a. in folgenden Kinos, im regulären Programm:
Scala Kino Lüneburg: 16.05. - 22.05.2013
Odeon Kino Köln: 16.05. - 22.05.2013
Babylon Kino Berlin: 23.05. - 29.05.2013
Kommunales Kino im Künstlerhaus (KoKi) Hannover: 23.05. - 29.05.2013
Abaton Hamburg: 30.05. - 06.06.2013
Koralle Kino Hamburg: 06.06. - 12.06.2013
Mehr Informationen
zum Film: www.woodstockintimbuktu.de
zum Festival: www.festival-au-desert.org
zu Musikern aus Mali bei KulturPort.De
Fotonachweis:
Header: Désirée von Trotha Foto: © Susanne Jell
Galerie:
01. Filmplakat
02. Pressekonferenz mit Festivalleiter Manny Ansar. Foto: © Britta Mangold
03. Bühnenbau für das Festival © Britta Mangold
04. Militär und Nomaden in den Dünen vor Timbuktu. © Dietrich Mangold
05. Ankunft der Nomaden beim Festival. © Britta Mangold
06. Désirée von Trotha im Gespräch mit Bandmitgliedern von Bombino. © Britta Mangold
07. Achmed Ag Kâedi, Sänger der Band Amanar. © Désirée von Trotha
08. Sängerinnen der Band Amanar © Britta Mangold
09. Band Bombino, Sänger Omar Moctar am Mikrofon. © Britta Mangold
10. Die Band Tartit beim Bühnenauftritt. © Britta Mangold
11. Festivalabend in Timbuktu © Britta Mangold
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