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Film
Der naive 16jährige Sohn aus adliger Familie hat die schottische Heimat verlassen, um auf eigene Faust das Mädchen zu finden, an die er sein Herz verloren hat. Rose (Caren Pistorius) und ihr Vater mussten fliehen, weil sie unter Mordverdacht gerieten. Jays Reise hätte in diesem Moment ein frühes Ende gefunden, wenn nicht aus dem nebligen Dickicht plötzlich Silas Selleck (Michael Fassbender) aufgetaucht wäre. Mit einem gezielten Schuss erledigt der wortkarge Outlaw den üblen Halunken in Uniform, der seine Waffe auf den verwirrten Teenager richtet. Abtrünnige Soldaten machen das Land unsicher, sie plündern, brandschatzen, töten erbarmungslos jeden Sioux, den sie aufspüren können. Wer sich ihnen in den Weg stellt, wird abgeknallt. Außer er zielt schneller, darauf versteht sich Silas und deshalb bietet er dem verträumten Jay seine Dienste als Wegbegleiter an, verspricht ihm Schutz. Natürlich gegen ein entsprechendes Entgelt.

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Der schlaksige blasse Junge mit den großen runden Augen hat etwas Elfenhaft-Kindliches. Er zögert, dem seiner Ansicht nach so brutalen Mann zu vertrauen statt einem gelehrigen Reiseführer in Buchform. Eine seltsam rührende Würde umgibt den weltfremden ungelenken Jay, Menschenkenntnis besitzt er wahrlich keine. Die extreme Gutgläubigkeit macht ihn für jedermann zur leichten Beute. Und doch transportieren seine altklugen Diskurse ihre ganz eigene Wahrheit, eine die Silas bisher verschlossen geblieben war. Der raue Wilde Westen hat den cleveren Drifter zynisch werden lassen. Der Optimismus des Jungen ist ihm rätselhaft, ein Hase in der Höhle der Wölfe, so schätzt ihn der Outlaw ein. Jay dagegen glaubt unverdrossen, er könne gut auf sich selber aufpassen, zahlt trotzdem brav hundert Dollar an Silas und von nun an reiten die beiden gemeinsam weiter. In Rückblenden schildert der Film die Begegnungen mit Rose daheim auf der schottischen Hochebene. Die beiden tollen am Strand herum wie verspielte Hundwelpen. „Tausend Arten zu sterben. Wähl eine!” ruft Rose, die Ältere, Erfahrenere von beiden. „Pfeil und Bogen!”. Und schon sinkt Rose theatralisch zu Boden. “Ich bin dran”, ruft Jay begierig. Er stirbt am Ende seiner glücklosen Odyssee von Kugeln getroffen auf die für ihn wohl grausamste Art: Durch die Waffe des geliebten Mädchens. Ein Versehen. Er wäre der kleine Bruder, den sie sich immer gewünscht habe, gestand ihm Rose, Tochter eines Kneipenwirts. Was sie damit meinte, der Junge hatte es nie wahrhaben wollen.

John Maclean drehte „Slow West” in Neuseeland. Den Regisseur und Autor verblüffte die Vielfältigkeit der Landschaft, sie erinnerte ihn an Schottland, doch schon ein Stück in die andere Richtung glaubte er in Irland zu sein und noch etwas weiter im britischen Devon. Die riesigen unbewohnten Gebiete der Südinsel waren das perfekte Double für Colorado. Grasebenen, Birkenwälder und Flussufer aus der Region von McKenzie Country bestimmen die wunderschönen, ästhetisch virtuosen Bilder. Sie ähneln ein wenig den frühen Werke von Terrence Malick wie „Badlands- Zerschossene Träume” (1973) oder “In der Glut des Südens” (1978). Kameramann Robbie Ryan („Wuthering Heights”, 2011) entschied sich für das heute eher ungewöhnliche Widescreen Format 1.66:1. Es hatte 1953 sein Debüt mit George Stevens Western „Shane” (1953). Produktionsdesigner Kim Sinclair, selber Neuseeländer, war für das ebenfalls dort gedrehten Science-Fiction Epos „Avatar” (2009) mit einem Oscar auszeichnet worden. Er verzichtete ganz bewusst auf den typischen Look des Western mit braunen Pferden, braunen Kulissen und braunen Kostümen. Manche Kritiker vergleichen Macleans kunstvolle Demontage und Rekonstruktion des Wilden Westens mit denen der Coen-Brüder, jenen Mix aus intelligenter Exzentrik, düsterem schrägen Humor plus beunruhigender Gewalt, aber „Slow West” hat zugleich auch etwas Märchenhaftes, poetisch Surreales. Die vom Salz verkrusteten weiten Ebenen der Prärie oder die mit Aschen bedeckten Wälder vermitteln eine unwirkliche überhöhte Atmosphäre mehr Mittelerde als Monument Valley.

Was Jay nicht ahnt, auf Rose und ihren Vater wurde ein Kopfgeld von 2.000 Dollar ausgesetzt. Ein Vermögen in jenen harten Zeiten, viele wittern ihre große Chance auch Silas. Er spekuliert darauf, dass der Junge ihn direkt zu den steckbrieflich Gesuchten führt. Doch der verschrobene linkische Träumer weckt unerwartet die Beschützerinstinkte des einsilbigen Kopfgeldjägers. Jays Entschlossenheit und unerschütterliche Liebe sind im wahrsten Sinne des Wortes entwaffnend. Es ist, als käme er mitsamt seinen Illusionen von einem anderen fernen Planeten. In der ersten Szene des Films liegt er auf dem Rücken im Gras und blickt hoch zum nächtlichen Himmel : „Großer Bär, Drachen, Andromeda...” Er zielt mit seiner Pistole auf einzelne Sterne, die dann für einen Moment heller funkeln, als würden sie ihm zublinzeln. Und während die Grillen zirpen, fühlen sich manche Zuschauer an den Kleinen Prinzen von Antoine de Saint-Exupéry erinnert, der lehrt die Menschen auf das zu achten, was entscheidend im Leben ist. Nur Jay konnte seine Rose nie unter eine Glasglocke setzen, um sie beschützen. Im Gegenteil, er hat versagt, trägt die Verantwortung für ihr Schicksal. Unschuld im klassischen Sinn ist keinem in „Slow West” vergönnt, Sentimentalität höchst deplatziert. Der Regisseur entzieht sich jeglicher Melodramatik, setzt stattdessen auf puristische Lakonie. Wenig später schon wird Jay in eine Schießerei verwickelt, ein verzweifeltes Paar aus Schweden überfällt in seiner Not einen Handelsposten. Um seinen Wegbegleiter zu retten, drückt Jay ab, wieder hat er lange gezögert. Tausend Arten zu sterben, dieses Mal ein Schuss in den Rücken der jungen Frau. Draußen warten zwei kleine blonde Kinder vergebens, dass ihre Eltern wieder herauskommen.

Der in Perth geborene John Maclean war einst Keyboarder der schottischen Gruppe „The Beta Band”. Er und seine Kollegen vermischten Garage-Rock, Electronica, Folk und Hip-Hop zum hypnotischen Pop-Sound. Die Mythen des Wilden Westens zogen Musiker schon immer unwiderstehlich an, sie lieferten grandiose Soundtracks wie Glen Campbell („True Grit”, 1968) oder Bob Dylan („Pat Garrett jagt Billy the Kid”, 1973). Erst die Kompositionen von Neil Young gaben Jim Jarmuschs „Dead Man” (1995) seinen unverwechselbaren magischen tranceartigen Charakter. Nick Cave schrieb nicht nur die Musik sondern auch das Drehbuch zu John Hillcoats „The Proposition- Tödliches Angebot” (2007). Macleans Ziel wurde, die Musik im Film auf ähnliche Weise einzusetzen wie John Boorman in „Beim Sterben ist jeder der Erste” (1972). Schottischer Folk Ende des 19. Jahrhunderts war Blues und Gospel nicht unähnlich. Diese keltische Klänge wollte der Regisseur unbedingt integrieren. Meist werden Western von mexikanischen Einflüssen dominiert, da sie oft in der Nähe der Grenze spielen. Jed Kurzel („Der Babdook”) kombinierte Originalmusik von damals mit neuen Kompositionen. Das rustikale Walzerthema „Jay’s Theme” beschränkt auf wenige Streicher, ist intim, lyrisch, setzt sich bewusst ab von den bombastischen Klangwellen Ennio Morricones. Die ethnischen Song sind rau, authentisch, spiegeln den trocknen, dunklen Humor von „Slow West” wider. Passi Jo komponierte ein kongolesisches Stück, inspiriert von traditionellen Klängen. Bryan Michael Mills singt vom Teufel und Donner, schwermütig, bedrohlich, melancholisch klagend. Tod und Jenseits präsent in Macleans fatalistischem Universum. Jede Episode, jede Begegnung auf dem lange Ritt ist ein kleines Kunstwerk für sich. Sterben müssen sie fast alle, Siedler, Ureinwohner, Cowboys, Kopfgeldjäger, nichts ist vorsehbar schon gar nicht das verblüffende Finale.

„Slow West” ist Macleans erster Spielfilm (Grand Jury Prize beim Sundance Festival). Um den richtigen Tonfall für sein Drehbuch zu finden, vergrub er sich in den Werken von Mark Twain, Nathaniel Hawthorne, Ambrose Bierce und Laura Ingalls Wilder. Macleans hintergründige bissige, auf ein Minimum verkürzte Dialoge sind unübertrefflich. Den wortkargen Kopfgeldjäger macht er zum Erzähler seiner Fabel. Die Rolle von Silas schrieb er explizit für Michael Fassbender („12 Years a Slave”, 2013), der Schauspieler war von Anfang an in das Projekt miteinbezogen. Die beiden drehten schon zwei Kurzfilme zusammen. „Man on a Motorcycle” (2009) und „Pitch Black Heist” (2012). Bereits hier zeigte sich Macleans irrwitzige Kreativität und seine Vorliebe für Genrefilme. Einer der ersten Regisseure, die den Western neu interpretierten, war Sam Peckinpah mit „The Wild Bunch”- Sie kannten kein Gesetz” (1969). „Amerika verschließt seine Augen vor dem Hunger und der Gewalt, man muss diesem Amerika die Augen öffnen”, hat der 1984 verstorbene Regisseur einmal gesagt. Jeder Western drückte ein Zeitgefühl aus, die Filme Peckinpahs waren beeinflusst durch die Grausamkeiten des Vietnamkriegs. Ob später Robert Altman, Quentin Tarantino, Ethan und Joel Coen, mit bitterer Ironie entzauberten sie den Mythos und zeigten die brutale Realität. Maclean gibt dem Neo-Western eine neue Perspektive. Kodi Smit-McPhee sagt über „Slow West”: „Der Film hat durchaus das klassische Western-Feeling: er ist schmutzig und spannend, mit Schießereien. Blut und allem Drum und Dran. Aber er steckt eben auch voller Gefühle, und die findet man in diesem Genre sonst kaum.” Die beiden Protagonisten könnten nicht gegensätzlicher sein, doch jener heilige Ernst mit dem Jay seine Mission verfolgt, verändert den abgefeimten Kopfgeldjäger. Zuneigung und pragmatischer Beschützerinstinkt vermischen sich, Silas bringt dem unbedarften Jungen bei, sich zu rasieren und nicht zu quengeln, wenn ein Indianerpfeil seine Hand durchbohrt. Durchkreuzt von Fatalismus, Situationskomik und einem Anflug von Slapstick entwickelt sich eine tiefe Freundschaft irgendwo zwischen hart und zärtlich.

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Originaltitel: Slow West
Regie / Drehbuch: John Maclean
Darsteller: Kodi Smit-McPhee, Michael Fassbender, Ben Mendelsohn, Karen Pistorius
Produktionsland: England, Neuseeland, 2015
Länge. 84 Minuten
Verleih: Filmverleih Prokino
Kinostart: 30. Juli 2015

Fotos & Trailer Copyright: Filmverleih Prokino

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