Donna Leon: „Gondola“ – Geschichten und Musik aus Venedig
- Geschrieben von Hans-Juergen Fink -
Die Geheimnise der venezianischen Gondel verrät Donna Leon in einem kleinen, opulent illustrierten Büchlein mit dem Titel „Gondola“. Highlight dazu: Eine CD des Barock-Ensembles „Il Pomo d’Oro“ mit galanten Gondelliedern aus der Lagunenstadt. Damit künftig niemand mehr dort „O sole mio“ bestellen muss – das kommt nämlich aus Neapel!
Von Zeit zu Zeit lässt Krimi-Königin Donna Leon ihren Commissario Brunetti allein ermitteln und wendet sich anderen Geschichten aus ihrer venezianischen Wahlheimat zu. Geschichten, über die man staunen kann. Geschichten, über die man die Stadt in der Lagune und die Mentalität ihrer Bewohner wieder ein bisschen versteht, ohne dass das Mirakel Venedig je zu Ende erklärt wäre.
Ein besonders hübsches Donna-Leon-Büchlein trägt den schlichten Titel „Gondola“ und beschäftigt sich eingehend mit dem seltsamen und einzigartigen Boot, das überall auf der Welt signalisiert: „Venedig“. Es wurde im Jahr 1094 zum ersten Mal schriftlich erwähnt, brauchte aber noch ein paar hundert Jahre, um zu seiner endgültigen und eigenartigen Form zu finden. Denn die etwas über elf Meter lange Gondel wird seit dem Ende des 19.Jahrhunderts asymmetrisch gekrümmt gebaut, auf der rechten Seite ist sie um 24 Zentimeter kürzer – so kann sie leicht geradeaus gesteuert werden, obwohl sie auf der linken Seite durch das Gewicht des Gondoliere schwerer ist. Sie hat einen flachen Boden von dem nur 55 Prozent das Wasser berühren. So ist sie von einem einzigen Ruderer gut durch die bei Ebbe nur 120 Meter tiefen flachen und engen Kanäle Venedigs zu manövrieren, begleitet von den traditionellen Rufen, die andere Gondolieri aufmerksam machen sollen. Und es braucht keine gewaltiges acqua alta, bis sich die ersten Gondeln auf der Piazza San Marco tummeln.
Verkehrsmittel und Ort der Lustbarkeiten
Bis auf das Ferro, die silbern glänzende Verzierung am Bug mit ihren sieben Zähnen, die angeblich die sieben Stadtviertel repräsentieren und oben an den Dogenhut erinnern, sind die Gondeln aus Holz gebaut, besser: aus verschiedenen Holzsorten je nach Verwendungszweck. Wikipedia zählt sie akribisch auf: „Eichenholz verwendet man für die beiden oberen Planken und für die Rippen am Leib der Gondel, Kiefer für den Boden und das Vordeck, Lärche für die Seiten und das Hinterdeck, Nussbaum für den Sitz und die vordere Bank, Kirsche für die hintere Bank und für die schiefe Plattform. Ulme und Tanne werden für die Innenbretter, Linde für die Verzierung des Bugs, Ramin verwendet man für die Riemenstange und die Fläche des Riemens ist aus Buchenholz. Die Riemengabel, Forcola genannt, besteht aus Nussbaumholz.“
Die Gondel war das traditionelle Verkehrsmittel in Venedig und hatte sich – damals noch mit einer diskreten Kabine versehen, auch zum Ort für allerlei Lustbarkeiten entwickelt. Reiche Kaufleute und Adlige stellten mit ihrer Gondel erheblichen Prunk zur Schau, bis die Regierung dem 1562 per Dekret ein Ende machte – seither sind alle Gondeln einheitlich schwarz. 8.000 bis 10.000 soll es mal in Venedig gegeben haben – alte Gemälde, die in vielen Ausschnitten in Donna Leons Buch präsent sind, zeigen das Gewimmel auf dem Wasser. Heute haben noch 480 eine Lizenz, Touristen durch Venedig zu fahren.
Kein preiswertes Vergnügen, wer nicht um die hundert Euro für eine knappe Stunde ausgeben will, kann eine kleine Prise Gondelgefühl auf den Gondel-Fähren, den „traghetti“, über den Canal Grande genießen. Da werden zehn bis zwölf Personen im Boot stehend von zwei Gondolieri stehend übergesetzt, wofür dann pro Tourist zwei Euro fällig sind, für einen Einheimischen nur 50 Cent.
Donna Leon erzählt mit dem Blick einer Einheimischen, vom Bau einer Gondel durch die in den letzten Gondel-Werften der Squerarioli, Anekdoten aus ihrer Geschichte. Und beschäftigt sich auch mit der Musik, die zu einer romantischen Gondelfahrt gern aufgeführt wird. Und erweist sich als Herzenskonservative, die sich natürlich der venezianischen Fraktion anschließt, wenn es darum geht, was denn gesungen werden sollte. „O sole mio“ und „Funiculi, funicula“ jedenfalls nicht. Das ist, obwohl weltbekannt, eingeschlepptes Liedgut aus Neapel. Dabei gibt es so wunderschöne freche und galante alte venezianische Gondellieder.
Donna Leon fördert und präsentiert „Il Pomo d’Oro“
Ein Glück, dass Donna Leon ohnehin einen Teil dessen, was die Brunetti-Romane in ihre Kassen spülen, in die Musik steckt. Konkret: in ein Originalklang-Orchester. Früher war das „Il complesso barocco“ unter dem im Juli 2015 gestorbenen Alan Curtis. Heute fördert sie, ohne großes Aufheben darum zu machen, das 2012 gegründete Ensemble „Il Pomo d’Oro“, das von dem Geiger Riccardo Minasi und dem Cembalisten Maxim Emelyanychev geleitet wird. Es führt Donna Leons Herzensprojekt weiter: die Aufnahme aller Händel-Opern in höchster Qualität mit den besten Solisten, die gern von der Autorin selbst zum Mitsingen überzeugt werden. Gerade neu erschienen: Händels „Partenope“ – kultur-port.de wird Il Pomo d’Oro damit und mit anderen neuen Aufnahmen in einer der nächsten CD-Kolumnen ausführlich vorstellen.
Dem Gondelbüchlein, das für den Preis von knapp 10 Minuten Gondelfahrt verkauft wird, ist eine wunderhübsche Pomo d’Oro-CD beigefügt. Für die Gondel-Lieder tritt Vincenzo Capezzuto als Sänger an – mit einer gefühlvoll-rauen, ungemein wandlungsfähigen Counter- Stimme trägt er die kleinen Geschichten vor, die – wie auch anders – vor allem vom diffizilen und fragilen Verhältnis von Männern und Frauen handelt: Schmachten, Hoffen, Träumen, Warten, Ärger, Wutausbrüche und wieder Schmachten. Die Texte sind im Büchlein auf Deutsch und Italienisch abgedruckt – so muss niemand mehr in Venedig künftig „O sole mio“ bestellen, sondern kann auf „La biondina in gondoletta“ bestehen oder auf „Madam Carissima“ bestehen.
Die Gondellieder aus dem frühen 18. Jahrhundert sind Volksgut. Doch Venedigs singende Gondolieri mussten früher immer Neues parat haben, weshalb sie freien Eintritt in die vielen Musiktheater der Stadt hatten – als Multiplikatoren waren sie gern gesehene Gäste in neuen Opernproduktionen. Dieses Changieren zwischen Kunstmusik und Volkslied macht den Reiz der Gondellieder aus – gut zu hören auch im Bonustrack der CD: Da singt nämlich Donna Leons gute Freundin Cecilia Bartoli. Die perfekte Musik, um vom nächsten Venedig-Urlaub zu träumen und vom Spaziergang auf der Piazzetta zum Ufer des Bacino di San Marco, wo vor dem Dogenpalast die nebeneinander vertäuten Gondeln nachts sanft nicken wie einer müde Gruppe wilder Pferde.
Donna Leon: Gondola. Geschichten, Bilder, Lieder
Mit einer CD. Aus dem Englischen von Karsten Singelmann.
Diogenes Verlag 137 Seiten, ISBN: 978-3257068559.
Hörbeispiele:
- Vincenzo Capezzuto sings "La biondina in gondoletta"
- Vincenzo Capezzuto & Pomo d'oro ensemble "Confesso el vero"
Abbildungsnachweis:
Header: Venedigs Gondeln. Foto: Hans-Juergen Fink
- Portrait Donna Leon. Foto: Regine Mosimann / © Diogenes Verlag
- Buchumschlag
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